Hermann Hesse: in Narziß und Goldmund
Wer könnte die Vereinigung der Gegensätze als zentrale Idee des Tantra besser beschreiben als Hermann Hesse:
„Es war ja schmählich, wie man vom Leben genarrt wurde, es war zum Lachen und zum Weinen! Entweder lebte man, ließ seine Sinne spielen, sog sich voll an der Brust der alten Eva-Mutter – dann gab es zwar manche hohe Lust, aber keinen Schutz gegen die Vergänglichkeit; man war dann wie ein Pilz im Walde, der heut in schönen Farben strotzt und morgen verfault ist. Oder man setzte sich zur Wehr, man sperrte sich in eine Werkstatt ein und suchte dem flüchtigen Leben ein Denkmal zu bauen – dann musste man auf das Leben verzichten, dann war man bloß noch Werkzeug, dann stand man zwar im Dienst des Unvergänglichen, aber man dorrte dabei ein und verlor die Freiheit, Fülle und Lust des Lebens.
Ach, und es hatte dies ganze Leben doch nur dann einen Sinn, wenn beides sich erringen ließ, wenn das Leben nicht durch dies dürre Entweder-Oder gespalten war! Schaffen, ohne dafür den Preis des Lebens zu bezahlen! Leben, ohne doch auf den Adel des Schöpfertums zu verzichten! War denn das nicht möglich?
Vielleicht gab es Menschen, denen es möglich war. Vielleicht gab es Ehemänner und Familienväter, denen über der Treue nicht die Sinnenlust verloren ging. Vielleicht gab es Sesshafte, denen der Mangel an Freiheit und an Gefahr das Herz nicht eindorren ließ. Vielleicht. Gesehen hatte er noch keinen.
Es schien alles Dasein auf der Zweiheit, auf den Gegensätzen zu beruhen; man war entweder Frau oder Mann, entweder Landfahrer oder Spießbürger, entweder verständig oder gefühlig – nirgends war Einatmen und Ausatmen, Mannsein und Weibsein, Freiheit und Ordnung, Trieb und Geist gleichzeitig zu erleben, immer musste man das eine mit dem Verlust des anderen bezahlen, und immer war das eine so wichtig und begehrenswert wie das andere!
Die Frauen hatten es hierin vielleicht leichter. Bei ihnen hatte die Natur es so geschaffen, dass von selbst die Lust ihre Frucht trug und aus dem Liebesglück das Kind wurde. Beim Mann war statt dieser einfachen Fruchtbarkeit die ewige Sehnsucht da. War der Gott, der alles so geschaffen hatte, denn böse oder feindselig, lachte er schadenfroh über seine eigene Schöpfung? Nein, er konnte nicht böse sein, wenn er die Rehe und Hirsche, die Fische und Vögel, den Wald die Blumen, die Jahreszeiten geschaffen hatte. Aber der Riss ging durch seine Schöpfung, sei es nun, dass sie missglückt und unvollkommen war, sei es dass Gott eben mit dieser Lücke und Sehnsucht des Menschendaseins besondere Absichten haben mochte, sei es, dass dies der Same des Feindes war, die Erbsünde? Aber warum denn sollte diese Sehnsucht und Ungenüge Sünde sein? Entstand nicht aus ihr alles Schöne und Heilige, das der Mensch geschaffen hatte und Gott als Dankesopfer zurückgab?