Lucian's Tantra-EssaysPaare im Tantra, Insel, glücklich,

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Wer heute Tantra praktiziert, ist vielfältigen Anfeindungen ausgesetzt. Nicht nur dem tausendmal abgenudelten „Lieblingsvorurteil“ von Gruppensex mit Räucherstäbchen, sondern auch das der süffisant vorgebrachten Lächerlichkeit einer „Kama-Sutra-Schule“. Das hat soviel mit Tantra zu tun, wie ein Automobilclub mit einem Kochkurs. Tantriker sind scheinbar auch heute in der modernen Welt eine diskriminierte Gruppe, die von der konventionellen Gesellschaft wenig verstanden und gelitten ist, nicht viel anders als Schwule, Islamisten oder Schwarze. Es geht über offene Ablehnung bis hin zu den bunten Vorurteilen bis zum Lächerlichmachen dessen, was weder gekannt noch verstanden wird. Damit musst Du leben können, wenn Du Dich zu Tantra als Lebensweg bekennst. Du darfst da nicht auf gesellschaftliches Verständnis oder gar Anerkennung hoffen. Diese Anerkennung muss sich also aus einer anderen Quelle speisen. Und diese Quelle ist Deine stark empfundene Lebensfreude und Deine authentische Hingabe an eine göttliche Kraft, die Du in den Gruppen und Ritualen immer wieder spürst und in diesen Momenten der Schöpfung unendlich dankbar bist, dass Du leben darfst und diese ungeheure Schönheit wahrnimmst. Du weißt dann ganz tief und ganz sicher, dass sich nur für solche Minuten schon Dein ganzes Leben gelohnt hätte.

Tantra schaut tiefer unter die Oberfläche der Dinge und Menschen. Tantra kann dieses göttliche Wunder – jenseits von esoterischer Schön-Geist-Verklärung – überall, auch in den Schatten, der dunklen, ekeligen Seite des Menschen erkennen und verstehen.

Hier eine Sammlung der Lieblings-Vorurteile der Gesellschaft über Tantra und ihre Richtigstellung:

Vorurteil Nr. 1:

Tantriker, das sind doch die, die nur nach dem Lustprinzip leben…

…wenn das so einfach wäre. Natürlich strebt Tantra nach höchster Lust und setzt sehr viele lustorientierte Methoden und Massagen ein. Doch da Tantra auf eine intelligente 1000-jährige Tradition aufbaut – weiß jeder Übende, daß das reine Konsumieren von Lust zur Abstumpfung und zu Suchtverhalten führt, das Gegenteil von mehr Aufmerksamkeit, Liebe, Sensibilität und Genuss. Deshalb sind im Tantra Lust und Disziplin gleichermaßen wichtig und wohldosiert an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit auszuleben. Ein Tantra ohne Disziplin und Regeln ist undenkbar. Tantra ist und hat eindeutige Struktur.

Vorurteil Nr. 2:

Tantra, da lernt man 200 Sexstellungen aus dem Kama-Sutra, sexuelle Vereinigung im Kopfstand mit Atemanhalten für stundenlange Orgasmen…

Als Idee gar nicht so schlecht, regt zumindest die Fantasie an…Davon abgesehen, dass abendländische Menschen viel zu steif sind, um diese Positionen zu beherrschen, ist Tantra keinesfalls ein sexueller Leistungssport. Viel eher ist er eine spirituelle Schule, die sexuelle Energie nur als ein Medium betrachtet und niemals als Selbstzweck. Sexualität ist im Tantra keine Sexualität. Sie ist ein Heil-Ritual, dass der Selbsterkenntnis dient, der Energie-gewinnung und dem Erforschen höherer ekstatischer Bewusstseins-Zustände.

Vorurteil Nr. 3:

Tantra, da geht es drunter und drüber, jeder treibt es mit jedem, Treue ist verpönt, keiner darf eifersüchtig sein, Ehe oder Beziehung gibt es da nicht, es wird „querbeet“ gevögelt, alles, was sich bewegt und nicht schnell genug auf die Bäume kommt.

Vielleicht ist dies das allergrößte Missverständnis über Tantra (oder die geheime Sehnsucht der Verklemmten): Daß Tantra polyamorös sei, also eine Lebens- und Beziehungsform vorschreibe, die dem herkömmlichen Treueideal einer festen Beziehung widerspricht, nach dem Motto: Wenn ich mich mit vielen Menschen unterhalten darf im Gespräch, um meinen Horizont zu erweitern und mich geistig zu verbinden, warum sollte ich das dann nicht auch körperlich-sexuell tun dürfen, weil es einfach bereichert? (Diesem Vorurteil hängen sogar etliche Tantra-Lehrer an). Die Wahrheit ist: Tantra sagt gar nichts – rein gar nichts – über Beziehungsformen und das Thema Treue oder Untreue. Es gibt keine klassische Stelle in den alten Quellentexten, keinerlei Werk eines tantrischen Meisters oder Philosophen, das irgendwelche Lebensformen von Tantrikern beschreibt oder gar vorschreibt. Es ist kein Thema. Denn: Tantra ist ein spiritueller Weg und keine neue Moral. Tantra be- und verurteilt nichts. Es bleibt jedem selbst überlassen wie er seine Wahrheit von Beziehung von Treue und Untreue lebt. Deshalb kann ein Tantriker sowohl alleine leben mit vielen sexuellen Begegnungen zu verschiedenen Menschen, als auch in einer festen Ehe mit Treuegelöbnis. Ein Tantriker kann mit zwei oder drei Lebenspartnern leben oder in einer „Bettgemeinschaft“ zu dritt z.B. und alle anderen denkbaren Beziehungsformen.

Tantra ist eben keine neue – wenn auch noch so exotische – Konvention. Tantra ist freiheitsliebend und jenseits von Starre eine lebendige Idee.

Vorurteil Nr. 4:

Tantra ist schwarze Magie. Sektengurus machen mit abhängigen schwachen Menschen Gehirnwäsche und manipulieren sie dahingehend, schlimme, verbotene, nicht gottgefällige Handlungen auszuüben.

Schwarze Magie heißt, dass jemand Bewusstseinstechniken einsetzt, um anderen zu schaden und sich egoistisch selbst daran zu bereichern. Da Tantra jeden Menschen als mündigen Erwachsenen betrachtet, fordert er die Übenden auf, nichts zu glauben, sondern alles durch Experiment und Erfahrung selbst herauszufinden. Insofern ist Tantra eine naturwissenschaftliche Methode, mehr als eine Religion. Vielleicht gibt es schwarz-magisches Tantra, ich selbst habe es noch nie gesehen oder davon konkret gehört.

Vorurteil Nr. 5:

Tantriker sind „Ketzer“, sie stellen sich gegen den Willen Gottes und schlagen sich auf die Seite des Teufels, weil sie Gott nicht ehren…

Ja – Luzifer – eine Figur, die die Menschen sehr fasziniert. Vielleicht heiße ich nicht zufällig Lucian, klingt doch fast wie Luzifer…(Lux, Lucis, lat. Licht).

Luzifer ist der gefallene Engel, der sich über Gott erheben wollte und durch seinen Hochmut fiel und gedemütigt wurde von Gott, in der Hölle zu leben, als der Herr der bösen und dunklen Welt.

Die Lösung dazu steht in Goethe’s Faust: „…die Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute wirkt.“

Ein reifes Verständnis Gottes weiß, dass alle Energien dieses Universums göttlichen Ursprungs sind. Somit integriert der Tantriker jede Polarität innerhalb seines Wesens – auch Gott und Teufel. Gemäß der asiatischen Weisheit: Schlimmes führt später oft zum Guten und Gutes führt manches Mal zu Schlimmem…Der Tantriker weiß: Ein einseitiges Schwarz-Weiß denken wird der Realität nicht gerecht.

Vorurteil Nr. 5:

Die Tantriker, das sind die „Unernsten“ – im Vergleich zu den Yogis oder den Buddhisten. Sie wollen nur Bequemlichkeit und Lust und blähen ihr Ego auf mit Sex- und Machtspielen. Anstatt sich weiterzuentwickeln kommen sie nur vom Weg ab und enden im Verderben, weil sie den spirituellen Weg fürchterlich missverstanden haben…

Ich als Tantra-Lehrer und Yogi überprüfe und durchforsche selbst immer wieder diesen heiklen Weg des Tantra – und: bekomme zum Schluss immer die Bestätigung, dass es nicht nur der richtige Weg ist für mich, sondern ein notwendiger authentischer religiös-spiritueller Weg. Ich weiß, dass die Welt heute Tantra braucht. Ich weiß, dass Tantra befreit und heilt – körperlich-seelisch-geistig. Ich weiß, dass Tantra wie kaum ein anderer Weg zur Integration einer bewussten ganzheitlichen Persönlichkeit beiträgt. Und ich weiß, dass Tantra verändert und transformiert. Ich weiß, dass Tantra tief religiös ist und jedes Ritual ein Gebet. Tantra ist ein starker Katalysator für inneres Wachstum des Menschen. Schlussendlich weiß ich somit auch, dass Tantra zu einer kraftvolleren, friedlicheren und liebevolleren Gesellschaft hinführt.

Dann kann ich ruhig schlafen, in dem Wissen manches Mal mit dem Feuer zu spielen und den Tiger im Tank zu wecken. Dann kann ich ruhig schlafen mit dem Geist der Provokation, mit dem Infragestellen aller gesellschaftlichen Werte; dann kann ich ruhig schlafen mit „unmoralischem“ Tun. Und ich kann ruhig schlafen, in dem Wissen, dass ich auf intelligente Weise zur Sinnlichkeit und Lebendigkeit „verführe“, dass ich die Lebenskraft in den Menschen anstachele, den Übermut, die Spielfreude und Ausgelassenheit. Dann habe ich ein ruhiges Gewissen bei der Anwendung verrückter Methoden und grenzüberschreitender Rituale. Tantra fordert die Wahrheit heraus. Tantra ermuntert zur Mündigkeit eigener Erfahrungen, anstatt nur zu glauben.

Und: Als Tantriker – auch das ein Widerspruch – bin ich gleichzeitig ein Christ, sogar reinen Herzens Mitglied der evangelischen Kirche, gleichzeitig Yogi und Hindu, Buddhist, Schamane, Santeria, Sexist, was immer ihr wollt.

So ist Tantra. Tantra ist nicht der Weg der breiten Masse, Tantra ist Wandern auf Messers Schneide. Tantra ist keineswegs bequemer als andere spirituelle Wege, aber vielleicht manches Mal intensiver, zumindest emotionaler und sehr lebendig.

Spüre, ob Du diesen Weg auch gehen willst.