Lieber Leserin, lieber Leser,
seit Jahren bekomme ich immer wieder Anfragen von Presse und TV, ob sie einen Beitrag über Tantra machen dürfen. Ich lehnte zuletzt immer ab, da das Ergebnis alles andere als gut war für die Außendarstellung des Tantra. Jetzt habe ich einem Versuch einmal wieder zugestimmt mit dem Ergebnis in angehängter Mail lesbar in der aktuellen Ausgabe der Main-Stream Frauenzeitschrift FÜR SIE aus Hamburg.
Über diesen Artikel habe ich mich ausgetauscht mit dem wohl erfahrensten Journalisten und Autoren unserer Tantra-Szene, dem Macher des „Connection-Magazins“, Wolf Schneider. Für Dich heute unser Mail-Austausch….
Lieber Wolf,
lies mal rein…eigentlich wollte ich solche Reportagen nicht mehr machen lassen,
in meinen Augen wird da für jemanden, der noch nie Tantra gemacht hat, nur ein Heer von Vorurteilen bestätigt oder ausgelöst, wie siehst Du das….? Als Mann vom Fach…. Dein Lucian
Antwort:
Hallo Lucian,
ich finde, das hat er gut hingekriegt. Ein sympathischer Mann, und er kann schreiben. Anfangs dachte ich: Tantra und Escort, das passt doch nicht zusammen. Geht wieder alles nur um Sex. Aber die Art wie er den Wechsel zwischen beiden Szenen hinkriegt und dann sein Fazit: Es geht eben letztlich nicht um Sex, sondern um »Geborgenheit und Nähe«, das ist gut.
Liebe Grüße
Wolf
Antwort:
Lieber Wolf, ja ich stimme Dir zu, ist gut geschrieben….aber die konkreten Übungsbeschreibungen wirken auf jemanden von außen, der noch nie ein Tantra-Seminar gemacht hat, (da gehe ich bei FÜR SIE Leserinnen davon aus) doch lächerlich und teilweise nur obszön. Auch die Bilder letztlich mit der angedeuteten Nacktheit dürften einen ähnlichen Eindruck hinterlassen. Ich glaube eben nicht, dass man das vermischen darf, Prostitution und Tantra. Das ist leider textlich und bildlich und von den Zitaten her so gemacht, dass es die Leserin in eine einzige Schublade im Kopf abspeichert. Glaubst Du wirklich dass so ein Artikel Tantra oder den Ruf des Tantra weiterbringt?
Mit herzlich-tantrischen Grüßen aus Engelskirchen
Dein Lucian
Antwort:
Lieber Lucian, ob das Tantra weiterbringt? Wohl eher nicht.
Aber die Bekanntheit von Tantra in Deutschland.
Auch nach deinen Veröffentlichungen in der BILD-Zeitung blieb diese Frage ja im Raum: Hilft das dem Verständnis, oder verstärkt es nur die Klischees? Yoga, das sind die Verrenkungen, die die Inder machen, um erleuchtet zu werden, das stimmt ja auch nicht, und doch ist Yoga heute auf eine gute Art (so gut wie es in diesem System eben geht) in D-land angekommen. Ich hoffe, dass auch Tantra diesen Weg nimmt. Auf welchem Niveau es das tut …. so lange unser Wirtschaftssystem so ist wie es ist (die Kirchen sind inzwischen keine so großen Hemmnisse mehr), wird das nicht auf hohem Niveau passieren. Aber doch mit viel Freiheit, und das ist ja auch einiges wert.
Außerdem finde ich Prostitution nicht grundsätzlich schlecht. Schade, dass nur die Reichen sich das leisten können – aber das gilt ja auch für ein Tantra-Wochenende, mehr noch für ein Jahrestraining. Die Jugendlichen, die sowas eigentlich bräuchten, die können es sich nicht leisten (oder dürfen nicht).
Vielleicht ist dieser Escort-Nick für manche Frauen wirklich ein großes Glück?
Liebe Grüße
Wolf
Antwort:
Lieber Wolf,
gewiss wird Nick das gut machen und einige Frauen trösten, aber ist dieser Trost gut?
Vielleicht verhilft es den Managerinnen dazu, das kranke Über-Stress-System noch ein paar mehr Jahre fortzusetzen und den betuchten Hausfrauen ihre kranke Ehe noch länger weiterzuführen anstatt sie zu renovieren oder aufzulösen für etwas Neues.
Ja, Prostitution und Porno sind Trostpflaster, die auch viel Suchtpotential enthalten.
Aber ich bin der Meinung, dass kein Mensch für Liebe und Sex bezahlen sollte. Und wenn Mensch es tut, ist es letztlich ein Armutszeugnis.
Im Tantra geht es ja nicht darum in erster Linie Liebe oder Sex zu bekommen, sondern sein Selbstwertgefühl zu stärken, seine männliche bzw. weibliche Identität zu entfalten und sich freier ausdrücken zu können. Ebenso zu lernen, wie man seinen eigenen Körper liebt und sich von sexuellen Blockaden befreit.
Wenn das gelingt, kann jeder Mensch auch in der „freien Wildbahn“ genug sexuelle und Liebesabenteuer befriedigender Art haben OHNE dafür zu bezahlen, weder für Tantra-Seminare noch für Escort oder Prostitution. Das ist meine Erfahrung. Absolut.
Mit herzlich-tantrischen Grüßen aus Engelskirchen
Dein Lucian
Antwort:
Lieber Lucian,
was du das sagst gilt m.E. für fast alles, was unter dem Namen Spiritualität und Religion (und natürlich auch positives Denken) angeboten wird. Das ist fast alles Trost, und das meiste davon auch nicht mehr. Wer weiter will, muss aus seiner Komfort-Zone raus. Meine Hoffnung ist, dass immer mehr durch die Trostphase hindurch und dann weitergehen. Aber auch ich habe Zweifel, ob das so ist. Wenn das Thema in dir brennt, schreib uns doch dazu was!
Dein Standpunkt, dass man nicht für Liebe und Sex bezahlen sollte, unterminiert aber auch die Bezahlbarkeit therapeutischer Hilfe, die ja aus Liebe geschieht und andernfalls nutzlos ist.
LG
Wolf
Antwort:
Lieber Wolf,
ja Therapeuten sind bezahlte Freunde und üben eine Funktion aus, die früher von den Familien übernommen wurde, von der ganzen Sippe. Insofern ist die Therapie die Antwort auf unser modernes, künstliches und globalisiertes Leben.
Es lässt sich nicht zurückdrehen. Aber wir können wieder Beziehungen aufbauen, in denen wieder Therapie möglich ist und ebenso der Austausch von Nähe und Sexualität – ohne dafür Profis zu bezahlen. Das ist die Absicht auch meiner Arbeit. Menschen dazu in die Lage versetzen, weil sie sich selbst wiederfinden.
Mit lieben Grüßen
Lucian