Was im Tantra am schwierigsten zu verstehen ist, und noch schwieriger in die Tat umzusetzen, ist die universelle Liebe.
Leichter zu verstehen ist der menschliche Wunsch nach Einheit, Vereinigung, Eins-sein. Wenn alle Trennung in Verschmelzung endet, sind wir selig und in Ekstase. Egal ob sexuell oder geistig gesehen.
Eine Eingebung gab mir die Frage: Warum lieben wir manche Menschen mehr, manche weniger, andere gar nicht? Wenn doch in jedem Menschen das Göttliche als Funke gleichermaßen innewohnt, was seine Würde im Kern ausmacht?
Es liegt daran, dass das Ego so arbeitet, dass wir Personen, die unsere Bedürfnisse oder unsere projizierten Bedürfnisse mehr erfüllen, auch mehr lieben. Diejenigen, die sie weniger erfüllen, sie jetzt oder später enttäuschen, lieben wir nicht mehr oder hassen sie sogar. Insofern führt die Verliebtheit, d.h. die „besondere“ Liebe zu „besonderen“ Menschen auch immer wieder zu bitterem Schmerz. Denn es tut dem Ego stets weh, wenn der andere die Bedürfnisse nicht mehr erfüllt oder sogar das Gegenteil tut, von dem, was wir erwarten und wünschen. Die Liebe als „Verliebtheit“ hat immer Ausschließ-lichkeits-Charakter und lässt keinen Raum für Dritte.
Der „besondere Liebe“ oder Verliebtheit liegt das Mangelprinzip zugrunde. Es besagt, dass in uns etwas fehlt, dass etwas unerfüllt und unvollständig ist. Dies zu fühlen, löst inneren Schmerz und Druck aus. Aus diesem Grund haben wir bestimmte Bedürfnisse. Das Ego drängt uns, etwas zu unternehmen weil dieses Gefühl der Leere, der Nichtigkeit, dass etwas fehlt, absolut unerträglich sei.
Das Ego meint, dass man an diesem Mangel nichts ändern kann und schlägt uns sehr viele „Ersatz-Befriedigungen“ vor, die es uns versucht, schmackhaft zu machen. Alkohol, TV, Frau, Mann, Karriere, Familie, Reisen, Feiern….Das Ego schlägt uns vor, außerhalb von uns nach etwas Ausschau zu halten, um das innere Loch zu füllen. Insofern drückt die Verliebtheit oder die „besondere“ Liebesbeziehung den Glauben des Egos aus und zementiert ihn: „Meine Bedürfnisse können vom Göttlichen nicht erfüllt werden, weil ich das Göttliche unbewusst für nicht existent oder für meinen Feind halte.“ Indem ich mich verliebe, beschließe ich unbewusst, dass eine bestimmte Person meine unerfüllten Bedürfnisse vollständig sättigen wird. Diese Person tritt dann für mich an die Stelle von Gott oder meinem innersten göttlichen Selbst. Meine besonderen Bedürfnisse werden von einer besonderen Person mit bestimmten Merkmalen und Eigenschaften erfüllt. Und wenn ich die Bedürfnisse der anderen Person erfülle, so wird sie mich ebenso lieben. So beschließt das Ego. Aus der Sicht des Egos hängt jetzt der Himmel voller Geigen. Wir sind himmelhochjauchzend.
Somit ist das, was die Welt „Liebe“ nennt, in Wirklichkeit projizierte Besonderheit, eine grobe Verzerrung dessen, was die Große Göttin unter Liebe versteht. Diese Dynamik kann man auch das unbewusste Zustimmen zur Abhängigkeit nennen. Ich werde davon abhängig, dass die Person meine Bedürfnisse befriedigt und die andere Person wird davon abhängig, dass ich ihre Bedürfnisse befriedige. Kann eine Zeit lang gutgehen. Genauer gesagt maximal 1,5 Jahre in „harten Fällen“ vielleicht zwei Jahre. Der Sinn der „besonderen Liebe“ besteht darin, den innerlich empfundenen Mangel zu kompensieren, indem wir jemand anderes dazu benutzen die Lücke zu füllen. Aber wehe die andere Person verändert sich und erfüllt nicht mehr unsere Bedürfnisse, dann kann ganz schnell aus der „Liebe“ leichte Verstimmung, Interesselosigkeit, Ärger, bis hin zu großer Wut und tiefem Hass werden, unter denen wiederum sehr tiefe Trauer liegt. So tiefe Trauer, dass wir nie mehr lieben wollen.
Sollte die Person, in die ich verliebt bin, ein Interesse entwickeln, dass nicht mehr 100% mir gilt, sollte sie beginnen ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten, denkt mein Ego: „Ich erhalte weniger. Wenn ich das wahrnehme, werde ich sauer, ich fürchte um mein Überleben.“ Das ist der Ursprung aller Eifersucht. Wir werden eifersüchtig, weil wir spüren, dass unsere besonderen Bedürfnisse nicht mehr in der von uns gewünschten Weise erfüllt werden. Wenn mein Partner außer mir noch jemanden anderes liebt, heißt das für mein Ego automatisch, dass für es weniger Liebe übrig bleibt. Dagegen rebelliert es heftig. Das Ego ist materialistisch und sieht Liebe nur mengenmäßig, nicht qualitativ. Es denkt immer: Wenn ich den einen liebe, kann ich den anderen nicht ebenso sehr lieben.
Mir persönlich war das, so lange ich denken kann – immer fremd. Ich kann viele gleichermaßen lieben – gleich stark, wenn auch jeden auf andere Weise.
Für das Göttliche ist Liebe immer qualitativ, sie schließt immer alle Menschen ein, was nicht heißt dass wir jeden gleich lieben. Das ist auf dieser Welt nicht möglich. Aber die Quelle der Liebe ist die Gleiche.
Wenn der andere meine Bedürfnisse nicht mehr nach meinen Vorstellungen erfüllt, fange ich an ihn zu hassen, weil ich es nicht aushalten kann, mich wieder mit meinem Mangel, meiner inneren Leere, meinem Gefühl der Getrenntheit auseinander zu setzen. Das nennt man das Ende der Flitterwochen. Heutzutage scheint es immer schneller zu kommen. Davon handeln die Dramen der Welt, Millionen Mal in Filmen, Theaterstücken und Romanen uns vor Augen geführt.
Und wenn der andere nicht mehr der Deckel auf meinem inneren Mangeltopf sein will, dann finde ich halt jemand anderes, der meinen Topf wieder zudeckt. Und die Welt ist immer sehr bereit, wenn es darum geht, Menschen zu finden, die meine Mängel kompensieren könnten. So wird diese Dynamik permanent von einer auf die nächste Person verschoben, bis das Herz so verletzt und gebrochen ist, dass die Seele anfängt aufzuwachen. Wann beschließt Du, aufzuwachen?
Das, was mit der Droge „Verliebtheit“ geht, geht auch mit anderen Drogen: Ein Alkoholiker versucht die Leere in sich durch eine Beziehung zur Flasche auszugleichen. Ein Sexsüchtiger versucht das innere Defizit durch eine Beziehung zu Frauen in Pornofilmen aufzufüllen und den Hormonschub des Orgasmus. Das gleiche ist der Fall bei Menschen, die zu viel Essen, zu viel Arbeiten oder mit der Manie herumlaufen, nur kaufend die Welt zu entdecken, viel Geld zu verdienen, viele Sachen zu besitzen oder sich einen Status mit entsprechenden Symbolen (Haus, Auto, Schmuck, Klamotten, Reisen) zu verschaffen. Tantra ruft uns zu: Eine Liebesbeziehung ist mehr als nur eine „Bedürfnis-Befriedigungs-Anstalt“!
Und da kommt die Frage: Was ist die alternative zur „besonderen Liebe“?
Die Liebe zum Göttlichen.
Natürlich verschweigt uns das Ego, dass das Einzige, was uns fehlt, das Rückerinnern unserer Einheit mit der Großen Göttin ist. Würden wir uns für das Göttliche entscheiden – und die Wahl haben wir täglich, würde das Ego aufhören zu existieren. Die Leere, den Mangel, die Unerfülltheit kann einzig und allein durch das Rückerinnern unserer Einheit mit dem Göttlichen erfüllt werden.
Heißt das, das wir von nun an ohne Beziehungen leben, wenn wir das erkannt haben? Nein! Tantra versucht nur durch eine neue Sichtweise aus projizierenden Verliebtheits-Beziehungen, heilige Beziehungen zu machen.
Heilige Beziehungen sind Verbindungen, die bestehen, auch wenn der andere unsere Bedürfnisse nicht in besonderer Weise nachkommt. Dann werden sie heilig, ekstatisch. Das ist ein Hauch der Liebe von Jesus, Buddha, Krishna. Dann sind wir Marien und Götter! Alles esoterisch-religiöser Blödsinn? Nein, du kannst es selbst erforschen, denn die Wahrheit zerreißt den Schleier aller Illusionen.
Diese Liebe vergleicht nicht und unterscheidet nicht, wenn sie das eine Wesen wahrnimmt. In dieser Liebe gibt es kein „besser“ oder „schlechter“. Diese Liebe interessiert sich für das einzigartige Deines Wesens und genießt es, diese Einzigartigkeit zu sehen – als Bereicherung der Schöpfung.
Tantra ruft Dir also zu: Du brauchst Dich nicht weiter am falschen Ego festzuhalten, dass Dir suggeriert, es sei die Essenz Deines Ich.
Im Gegenteil, Ich-frei zu sein ist die höchste Freiheit und Wehrlosigkeit ist die höchste Sicherheit, die es auf diesem Planeten gibt.
Du glaubst das nicht?
Dann komme in Kontakt mit Menschen, die das bereits verwirklicht haben und ausstrahlen. Lasse Dich von diesen Menschen umarmen, anschauen, inspirieren.
Dann keimt in Dir auch wieder die Beziehung zu Deinem wahren inneren Licht auf – und so kannst Du dieses Licht in anderen sehen.