Ich sitze in der Toscana in wilder Landschaft auf dem Feld, meine Mal-Utensilien ausgebreitet, warte auf Inspiration, sie kommt nicht, bis auf ein schwarzes Gesicht mit rotem Mund, höre Musik eine Stunde lang und mache ein paar Skizzen auf Blätter…auf der letzten Skizze denke ich: ‚Das ist es‘ und mache mich an die Arbeit. Kämpfe 8 Stunden mit dem Bild, den Farben der Komposition, den Formen und dem Zuviel und zu Wenig… Nicht-Denken und Empfangen.
Dann ist es vollendet und ich bin eins. Eine neue Göttin ist erstanden vor der ich mich lange verneige. Die Sonne geht unter, ich genieße eine meiner Cuba-Cigarren, gehe langsam, setze mich auf einem Hügel auf die Erde und darf den Sonnenuntergang genießen nur von Naturgeräuschen umgeben. Ich bin in Stille, ich bin einverstanden, ich bin in Ruhe. Es gibt jetzt keinen anderen Ort wo ich sein wollte. Kein Begehren ist da und keinen Wunsch. Ich bin einverstanden mit mir, mit aller Vergangenheit und Zukunft. Die Sonne geht unter und es wird Nacht, ich lege mich auf die bloße Erde auf den Rücken und sehe das Aufgehen der Sterne am Himmel, erst kommt nur einer, dann mehrere dann ganz Viele, Unendlichkeit.
Ich sitze in einem italienischen Fischerdorf mit meiner wunderbaren Shakti beim Essen im Ristorante nachdem wir einen Nachmittag lang am Strand lagen und einmal ins Mittelmeer eingetaucht waren. Zuvor durfte ich eine wunderbare Rücken- und Handmassage empfangen. Das Klima ist lau, wir sitzen auf erhöhter Terrasse und schauen dem munteren Treiben der Menschen zu, die abends, wenn es kühler wird, auf die Gassen kommen. Das Essen ist exzellent, der Weißwein fruchtig und kühl, da setzt sich ein Paar an den Nebentisch, die Frau hat missgebildete Arme, klein und verstümmelt wie bei einer Spinne…Mitten im vollkommenem Genuss überlege ich ob mir schlecht werden soll oder nicht…
Die Göttin hat mir beides geschickt, die Lust, den Genuss und das Leiden. Die Hässlichkeit und Grausamkeit des Lebens ist in jedem Moment eingewoben auch in den Momenten des Höchsten Glücks.
Ich wache auf früh morgens in einem kleinen badischen Dorf in der Pension Hirschen und laufe, da das Frühstück noch auf sich warten lässt, durch den Ort auf einen kleinen Hügel, wo ich eine Bank erspähe, die wie für mich gemacht ist, um den Sonnenaufgang über den dunstigen Feldern und sanften Erhebungen zu erleben. Dort mache ich meine Meditation, mein Japa (Wiederholen des Mantras mit Perlenkette). Welch‘ romantischer, perfekter Moment. Da rauscht ein großer lärmender und behäbiger Müllwagen an mir vorbei und zieht eine dicke Fahne von unsäglich morbidem und beißendem Müll-Gestank hinter sich her, der in meine Nasenhöhle aufsteigt….
Ich sage mir: ‚Perfekt – und wieder grüßt mich die schwarze Madonna, zeigt mir wie eng Lust und Leid verknüpft sind und letztlich immer zusammen gehören.‘
Wenn Du das Bild der „Maria Negra“ oben schaust, der schwarzen Madonna siehst du zwei Seiten. Die rechte ist lieblich und segensspendend, munter und erfrischend, rein, heiter und lieblich. Die Linke ist das Rot des Blutes, das Leid der Gescheiterten, Verrückten und vom Leid des Lebens Geschlagenen und Gestraften. Dort herrschen Tod und Verderben in Trauer und Verzweiflung. Die Hoffnungslosigkeit und Zerstörung anwesend.
Dem geben die alten Inder als Göttin „Kali“ Ausdruck. Die dunkle Seite des Göttlichen – obwohl allgegenwärtig in unserem Leben wird im Westen verdrängt. Man versucht alles schön zu denken oder schön zu reden – oder verherrlicht die Katastrophe in medialen Orgien ohne einen Zusammenhang mit der Göttlichkeit oder Heiligkeit herzustellen.
Dennoch sind es die zwei Gesichter des Göttlichen.
Das grausame Gesicht und das segensspendende. Die Göttin der Schönheit und die Göttin der Zerstörung. Das gehört in der Ganzheit des Lebens in Wirklichkeit zusammen. Und was hat das alles jetzt mit Tantra zu tun?
Wie im Yin-Yang-Zeichen ist in jeder schönen Erfahrung ein Punkt des Schmerzlichen und Schrecklichen enthalten. Und in jeder leidvollen verzweifelten Situation auch ein Punkt der Schönheit und Hoffnung und Stärke enthalten.
Die tantrische Lehre für uns:
Wenn wir die schönen Momente des Lebens, die mit Lust und Genuss verbunden sind, nicht zementieren wollen, sie festhalten, sie absichern, uns nicht krampfhaft anklammern wollen nach dem Erleben, vermeiden wir, dass sie in den Schmerz umschlagen.
Andererseits, wenn wir im Leid und in Schwermut, Misserfolg und Scheitern, Verletzung, Schmerz, Verlust, Krankheit und Tod auch immer den lichten Funken des göttlichen Wirkens erkennen können, sind wir ein wenig befreit davon im gleichen Moment, fühlen keine Schuld mehr, sehen die Verwandlung und erkennen die Notwendigkeit, der Zerstörung zuzustimmen, damit das Neue, nach dem wir uns sehnen, kommen kann. Endlich.
Das ist der tantrische Geist. Dem Leben und dem eigenen Wesen zuzustimmen wie es ist, nicht wie es sein sollte. Das ist die Hochzeit zwischen Himmel und Erde, das ist die Verwirklichung höchsten Bewusstseins, das ALLES eins ist.
Dann klemmen wir nicht mehr in der Mausefall, nicht mehr in der Beziehungs-Kiste eingesperrt, nicht mehr mit goldenen oder rostigen Ketten an unsere Süchte gekettet.
Dann erblüht unser Herz.